DIE SINGENDE

 

 

Ich ging über die sanften Hügel der Landschaft

und wünschte mir,

deren Geist zu begegnen.

Schon sah ich ein großes silbriges Feld

sich nach allen Seiten weit erstrecken,

mit silbrigen Felderfurchen,

über der Erde.

Ich hatte ein glückliches

Gefühl.

Da ging ich mitten in das Feld hinein.

Ich spürte ein Fließen,

doch war es kein Wasser.

Es floss von links nach rechts

und zog mich mit.

Ich fühlte, dies ist der Geist der Landschaft,

über den physischen Feldern schlafend.

Schlafend und atmend. Weiblich.

Etwas Schlafendes, Weibliches, Wellenartiges,

was sich hebt und senkt

über Felder und Hügel,

Bäume und Straßen,

Häuser und Menschen.

Eine atmende, durchsichtige, silbrige Decke.

 

Ich bat die Silbrige,

mit mir Kontakt aufzunehmen.

Sie bejahte mit heller, freundlicher Stimme.

 

Ich bin die freie Seele dieser Landschaft,

die sanfte, schwebende, nicht fest begrenzte,

alles Sanfte der Menschen haltende Seele

dieses Ortes.

Dieser ist mein Element,

meine Identität,

meine Entwicklungsmöglichkeit.

Hier will ich sein.

 

Sie bewegte sich weiter silbrig über das Land,

mal schnell und brausend,

mal langsam und träumend,

schwebend, sanft.

 

Mein Körper ist

die Erde hier

mit ihrer Vielschichtigkeit,

mit all ihrem Ausdruck:

 

den Schollen, den Feldern, den Wiesen, den Bäumen,

den Blumen, den Hügeln ...

 

Wir bilden ein großes Ganzes,

eure Seelen und ich, die Seele des Ortes.

Wir durchdringen uns gegenseitig.

 

Ich fragte, ob es für sie Probleme gäbe,

etwas, das zu heilen sei.

 

Ich befinde mich auf der Ebene,

die immer heil ist, sagte sie.

Das ist zu vergleichen

mit eurem Höheren Selbst,

das von Natur aus heil ist.

Ich bin die Seele, das Höhere Bewusstsein dieses Ortes.

Ich bin glücklich, denn ich bin voller Liebe zur Erde,

zu den Menschen hier, zur Natur.

Die Menschen berühren mich auf eine leichte Weise,

ich bin nicht in ihr Schicksal verwickelt.

Ich bleibe frei und in Liebe losgelöst.

 

Ich habe eine Aufgabe,

es ist die: zu sein.

Ich bin.

Ich bin ein Ausdruck der Erde,

ein Ausdruck von allem, was ist.

Ich bin ein Ausdruck von Liebe,

Liebe im weitesten Sinne.

Ich träume den Traum der Erde

und den Traum des Geistes darüber.

Ich bin „die Singende“,

die die Lieder der Bäume singt,

die Lieder der Steine, der Regentropfen,

der Menschen, der Tiere,

die Lieder all derer, die hier leben.

Ich durchwebe alles, durchdringe alles

und bin durchwebt und durchdrungen

von allem, was hier ist,

eins mit allem.

 

Sie flog in Kreisen und Kurven, leicht, frei

und mit Freude.

 

Passt auf, dass viel Raum bleibt für Wachsendes,

dass der Ort nicht zu sehr bebaut wird.

Hört auf die Tiere, hört auf die Bäume.

Behandelt die gut, die ihr gefangen haltet,

sorgt gut für sie,

respektiert und achtet sie,

und nehmt ihr Sosein ernst.

 

Dann ließ mich die Seele der Landschaft

in ihr Bewusstsein ein:

 

Da fühlte ich mich ganz weit,

mal kleiner, mal größer werdend,

ständig in tanzender, über der Erde schwebender

Bewegung,

mal übermütig Loopings drehend,

mal im Sturzflug das Stoppelfeld streifend,

die umgepflügte Erde streichelnd,

die Zwillingslinde umarmend,

über Straßen gleitend,

den Hügel hinauf und zurück.

 

Und sie erklärte mir ihr Wesen:

 

Ich bin ein feines, silbriges Gespinst,

bestehend aus Erdenergien, -

das sind Kraftenergien, Kommunikationsenergien

und Liebe.

Ich singe das Lied der Sanftheit in allem,

ich singe das Lied des nahen Wassers unter der Erde,

das Lied des belebenden Regens.

Ich singe das Lied der Sonnenwärme,

die Lieder der Linde, der Eiche, der Weide

und der anderen Bäume.

Ich singe das Lied der Verbundenheit.

 

Ich bedankte mich bei dem Höheren Selbst des Ortes

und war voller Wundern.

Die Umarmung fühlte sich an,

als seien wir miteinander verwoben.

Und schon flog „die Singende“ wieder

in Serpentinen davon,

gleichzeitig als durchsichtige,

silbrige Energie

das Land bedeckend.

 

                             © Ursula Sewing