VOM SCHICKSAL EINES KLEINEN HERRENLOSEN KATERS

 

 

 

Ich wollte gern einmal mit dem kleinen herrenlosen Kater sprechen, der oft vorbei kam, sich aber immer sehr seltsam benahm, nicht ganz gesund wirkte und sich nicht anfassen lassen wollte.

 

Kleiner Kater, ich bin die, die dich heute Morgen gefüttert hat. Vielleicht erinnerst du dich. Kann ich einmal mit dir sprechen? fragte ich ihn per "Fernkontakt".

 

Warum? fragte er scheu.

 

Ich wüsste gern, was mit dir los ist. Du läufst immer ganz schnell weg, wenn ein Mensch Kontakt zu dir aufnehmen will, erklärte ich ihm.

 

Ich habe Angst.

Er sagte es ganz leise.

 

Oh, das tut mir Leid, kleiner Kater.

Wovor hast du denn Angst?

 

Ich wage nicht, es zu sagen, flüsterte er.

 

Du kannst dich trauen.

Sag mir ruhig, was los ist mit dir. Was hast du erlebt? fragte ich.

 

Es war, als wenn es aus ihm herausbrach:

Die anderen Katzen sind getötet worden.

Das Blut war an der Wand und auf dem Boden.

Mich nur halb, hauchte der Kater.

Nicht richtig gegriffen.

Nur halb gegen die Wand gekommen.

Pfoten taten so weh.

Habe mich versteckt. Lange. Sie haben gesucht.

Ich bin gekrochen. Weitergekrochen.

Hinter vielen Geräten versteckt.

Lange, lange dort gesessen und gezittert.

Angst war so groß.

 

Das tut mir so Leid, kleiner Kater, sagte ich.

Wie ist es denn dann weitergegangen?

 

Regen. Ich war ganz nass. Krank. Ich habe gehustet.

Mir war ganz heiß und ganz kalt.

Ich wusste nicht, was ich tun sollte.

Habe mich nicht raus getraut aus meinem Versteck.

 

(Ich sehe den kleinen Kater nahe einer Hauswand, nahe eines Kellerfensters, unter Geräten.)

 

Der schwarze Kater war einmal da. Ich habe zuerst Angst gehabt.

Aber er hat ein bisschen an mir geschnüffelt, dann ist er wieder gegangen.

So kam er öfter einmal. Er sah nach mir.

Er gab mir das Gefühl, dass jemand da ist und mich kennt und mir nichts Böses tun will.

 

Ging es dir dann irgendwann besser? erkundigte ich mich.

 

Ganz langsam. Die Beine taten so weh. Und der ganze Körper.

Ich versuchte aufzustehen, aber es dauerte lange, bis es gelang.

Schließlich bin ich mal ein bisschen aus meinem Versteck herausgegangen, habe mal das eine oder andere Bröckchen zu fressen gefunden.

Bin aber immer wieder zurück.

An einem Tag, als der schwarze Kater kam, bin ich ein wenig hinter ihm her gegangen. Jeden Tag ein Stückchen mehr, und dann wieder umgekehrt.

Er ist wie ein Beschützer für mich.

Schließlich kam ich zu euch.

Ich bin froh, dass es ihn gibt.

Immer ist er ja nicht da, aber er kommt immer wieder zurück.

 

Lieber kleiner Kater, du hast wirklich sehr, sehr Schlimmes erlebt und warst so allein, sagte ich.

Du brauchst vor niemandem von uns Angst zu haben.

Tut dir denn noch etwas weh?

 

Das Fell, antwortete er. Es ist wie elektrisch.

Es ist wie Schmerz, wenn ihr mich berührt.

Aber ich glaube, es ist nur meine Angst.

Denn die Berührung von dem schwarzen Kater tut mir ja gut.

 

Es wäre schön, wenn ich dich streicheln dürfte, sagte ich.

Dann wüsste ich, dass du anfängst, mir zu vertrauen.

Der schwarze Kater ist dein bester Freund,

aber ich kann dir eine Menschenfreundin sein.

 

Das wäre schön, flüsterte er.

Ich bin oft sehr allein.

Und die Erinnerungen verfolgen mich

und springen in meinem Kopf herum.

Danke für das Häuschen, was ihr für mich gebaut habt,

es ist gut. Darin fühle ich mich sicher.

 

Sei nun wieder zuversichtlich, kleiner Kater.

Ich wünsche dir eine gute Nacht.

Und morgen sehen wir uns wieder.

 

 

                                 © Ursula Sewing