RADJAN NIMMT WAHR

 

 

Als ich Radjan begegnete, in der Bucht am Meer,

in einer Höhlung im Felsen

und rot gekleidet,

begrüßte er mich nicht,

sah auf das Meer und sprach:

 

Ich übe die Ruhe.

Ich übe mich im Nicht-denken.

Ich sehe.

Ich sehe auf das Wasser und lasse es Wasser sein.

Ich will nichts wissen über seinen Wert, seine Aufgabe,

ob es sich verändern wird oder nicht.

Ich sehe auf das Wasser

und nehme nur wahr,

ganz und gar passiv.

Ich denke höchstens: Wasser.

 

Ich sitze schon lange.

Ich erinnere mich nicht an meinen Namen.

Du kannst mich ruhig Radjan nennen.

Es spielt keine Rolle.

Mein Name interessiert mich nicht.

Ich weiß nur, dass ich bin.

Ich bin ein Aufnehmender,

ein Nichts-wollender.

Ich fühle Frieden.

Ich lasse sein, was sein will,

und wie es sein will.

Ich verändere nichts,

ich greife nicht ein.

Alles hat seine Berechtigung in sich selbst.

 

Ich bin da und bin auch das Wasser,

das ich nicht bin.

Ich bin da und bin auch der Felsen,

der ich nicht bin.

Der Felsen gibt mir Schutz,

also ist er außerhalb von mir.

Ich fühle das Felsige in mir,

also bin ich er.

Ich übe mich darin,

mich nicht zu unterscheiden,

denn das befreit mich davon,

zu werten.

Und gerade in dieser Übung liegt die Erkenntnis:

Ich bin.

 

Da setzte ich mich ihm gegenüber,

und er sagte:

 

Ich betrachte. Ich nehme wahr.

Ich bin ich, indem ich du bin.

Ich bin du, indem ich ich bin.

Ich nehme dich einfach wahr.

Ich ordne nicht ein.

Ich habe keine Wünsche an dich.

Ich nehme nur wahr, dass du bist,

mir gegenüber.

 

Und wenn du nicht mehr gegenüber bist,

wenn du gegangen bist,

nehme ich wieder das Wasser wahr,

das Farbenspiel auf dem Wasser,

die begrenzenden Felsen,

die Weite des Himmels.

Alles ist da, -

und ich bin.

 

Als ich Radjan verließ,

blieb er still in der Höhle sitzen,

ohne mir nachzusehen.

 

                                     © Ursula Sewing