AN EINEM SCHEINBAR FESTEN ORT
Dann hörte ich eine tiefe, tönende Stimme,
die von allen Seiten zugleich zu kommen schien.
Sie sagte:
Du wolltest uns hören.
Ich sah mich nach allen Seiten um
und hatte plötzlich das Gefühl,
dass die Wände sich geöffnet hätten
und keinerlei Grenzen mehr wahrzunehmen seien.
Es sind nur scheinbar Wände,
sagte die Stimme,
es sind Tore zu anderen Dimensionen.
Tritt nun durch eins der Tore.
Du schwebst in der Unendlichkeit,
ohne zu fallen.
Vor mir und hinter mir sah ich große Tiefen,
ich schwebte darüber.
Immer neue Tore
öffneten sich, hinter denen
neue Unendlichkeiten begannen.
Nichts war hier fest, nichts hörte hier auf.
Dann fuhr die tiefe Stimme fort:
Komm nun zurück.
Der Boden, auf dem du scheinbar stehst,
ist überall,
hat keinen Ort.
Alles Feste ist nur scheinbar.
Die Begrenzungen, die du wahrzunehmen scheinst,
helfen dir, einen Ort anzunehmen,
auf dem du stehst.
Das gibt dir ein Gefühl der Standfestigkeit,
der Orientierung,
die jedoch nur scheinbar sind.
Denn wo bist du wirklich?
Jetzt?
Der Boden unter deinen Füßen
suggeriert dir einen Ort,
einen Fixpunkt, eine Sicherheit,
doch kann er überall sein,
nacheinander und gleichzeitig.
Der Raum suggeriert dir,
dass du zusammengehalten bist durch etwas,
dass du eine Abgrenzung hast
gegen das Außen.
In Wahrheit bist du überall,
in jedem Teilchen, jedem Atom,
in jeder Zeit, in jedem Raum,
in jedem Aufsteigen,
jedem Fall.
.
Du selbst bist so unendlich weit
wie die Unendlichkeit,
die du siehst.
Du selbst bist die Unendlichkeit,
du kannst es fühlen.
Und wo immer du auch bist,
kommt es dir vor,
als wärest du an einem Ort,
der zu beschreiben und zu definieren sei.
Doch gibt es das nicht wirklich.
Wo immer du auch bist, hast du ein Gefühl
von Jetzt und Hier.
Alles ist durchlässig für dich,
und du sei durchlässig für alles,
du bist es sowieso.
Ich fragte die Stimme: - Wer bist du,
der da zu mir spricht?
Die Stimme, der Laut,
der Klang des Universums,
das Universum selbst,
antwortete sie.
Sei da, wo du bist, ganz da.
Und sei dir immer gegenwärtig,
dass du überall und in allem bist.
Ich dankte ihr und ging zurück –
an einen scheinbar festen Ort.
© Ursula Sewing