BOTSCHAFT DES WÄCHTERVOGELS
Als ich in der Tempelkuppel
den roten Vogel sah,
mit dem bunten Federbusch auf dem Kopf,
der aus einer roten Haube wuchs,
wie er schnell und ruckartig
mal hierhin, mal dorthin flog,
mal quer durch den Raum,
mal durch die offenen Fenster,
begeistert und fröhlich zurückkehrte
und wippend einen Ruheort fand,
fragte ich ihn:
Wer bist du, und was tust du hier?
Ich bin der Wächtervogel, sagte er.
Ich wache. Ich führe.
Ich zeige den Weg.
Ich bin der Gefährte des Tempelhüters.
Mach es wie ich:
Folge dem Licht, der leuchtenden Spur.
Bleibe nicht stecken.
Rüttle dich, und brich dann auf
zu immer neuen Flugbahnen.
Halte dich nie zu lange auf
an einem Ort,
an einer Arbeit,
einem Plan.
Solange du an einem Ort bist,
sei wachsam, sei achtsam,
ganz wach und alarmiert.
Und dann geh in das nächste Projekt,
in die nächste Planung,
die nächste Begegnung.
Immer wieder loslassen,
immer neu aufbrechen,
immer neu aufsteigen,
dich neu befreien:
zu neuen Taten, zu neuer Sicht.
Ich bedankte mich bei dem Wächtervogel.
Ich sah ihm nach, wie er flötend
und wie in großen Sprüngen
durch den Tempel und die
offenen Fenster flog.
© Ursula Sewing